Kunstpreis 2020 Prof.Dr. Müller-Tamm
Laudatorin Frau Prof. Dr. Pia Müller-Tamm vor den Preisträgerbildern. (Foto: Tino Zimmermann)

Rede zur Ausstellungseröffnung des 43. Kunstpreises „Witz und Ironie“ am 6.3.2020

Am Aschermittwoch hatten sieben Jurymitglieder die anspruchsvolle Aufgabe, 509 Bilder zum Thema Witz und Ironie zu betrachten und zu bewerten; sie haben sich dabei bestens amüsiert; manchmal ist ihnen auch das Lachen im Halse stecken geblieben.

Wie kaum anders zu erwarten, haben die Künstler und Künstlerinnen das Feld des Komischen in der Kunst facettenreich ausgeleuchtet und erschlossen. Wie Sie in der Ausstellung sehen können, sind ihre Beiträge plakativ und schillernd, verblüffend und unerhört, konformistisch und exzentrisch, pointensicher und degoutant, changierend zwischen affirmativen und aggressiven Behauptungen.

Witz und Ironie –  diese beiden Begriffe dürfen wir durchaus kontrastierend auf einander beziehen: Beim Witz denken wir an die eher harmlosen Varianten im Spiel mit dem Komischen, an Klamauk, Schabernack und einen liebenswerten Humor, an den Effekt des einfachen Lachens ohne verstiegenen Hintersinn. Der Witz kann solidarisierend wirken, so der Soziologe Niklas Luhmann, weil er darauf abzielt, dass das Publikum seine Hintergründe versteht; er dient als „Bestätigungsmaschine“, schafft augenzwinkerndes Einverständnis. Lachen kann aber auch befreiend wirken und neue Kräfte freisetzen.

Im Wortfeld der Ironie schwingen dagegen Begriffe wie Distanz, Zweifel, Ernst und Zynismus mit. Die Ironie ist anders als der Witz eine intellektuelle Methode oder eine Strategie, um Differenzen zu markieren. Nicht jeder versteht, was ironisch sein will; Ironie kann missverstanden werden; sie funktioniert nicht bei jedem.

Der Blick in die Kunstgeschichte lehrt, dass Kunstformen des Witzig-Komischen wie Karikatur, Satire, Groteske und Persiflage bereits seit der frühen Neuzeit als scharfe und mitunter auch verletzende Waffen eingesetzt wurden. Von Jacques Callot über Bernini, Hogarth und Goya bis zu Daumier und Rodolphe Töpfer führt eine mäandrierende Linie der sinnstiftenden, zumeist autoritätskritischen Komik durch die Geschichte der Kunst. Ihr bevorzugtes Medium ist die Druckgrafik, weil sie eine große Verbreitung der subversiven Ideen sichert.

Die Kunst des 20. Jahrhunderts zeigt die unterschiedlichsten Phänomene und Ausprägungen von Witz und Ironie. Das Lachen im Dadaismus war zivilisationskritisch und bissig – ein anklagender Aufschrei angesichts der Absurdität der Verhältnisse. Der Surrealismus erprobte ein anderes Denken – gegen die Herrschaft der westlichen rationalen Ordnung – und experimentierte mit Vexierspielen, Doppeldeutigkeiten und Verunsicherungen, die bis in die Sphären des Unbewussten vordrangen. Das Lachen der 50er Jahre war eine Entlastung angesichts der Erfahrung des Krieges während der Humor in den 60er Jahren subversiv, ideenreich und angriffslustig war. Im Zeichen postmodernen Denkens entwickelte sich in den 80er und 90er Jahren ein Hang zu ironischen Metadiskursen, zum Zweifeln an allen Erscheinungsformen des Kunstsystems.

Wie gegensätzlich die Strategien der Erzeugung witziger bzw. ironischer Bildwirkungen sind, lässt sich an der Gegenüberstellung zweier Werke dieser Ausstellung verdeutlichen, zweier Bilde, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Rolf Tiemanns Gemälde Der Rechenfehler mutet wie eine ins Medium des Tafelbildes vergrößerte Witzblattzeichnung an: Fünf Männer vom Stamm der Büromenschen suchen in meterlangen Papierbahnen nach einem Rechenfehler, die Papiere schlingen sich laokoonartig um die Figuren; sie sind die Opfer der analogen Rechentechnik – tempi passati.

Kein Bild hat die Jury zu längeren Diskussionen veranlasst wie der Tintenstahldruck von Reinhold Adt ohne Titel (Wertschätzung). Ein jugendliches Porträt von Adolf Hitler mit einer mehrzeiligen Textpassage am unteren Bildrand. Die Verbindung von Text und Bild funktioniert dabei wie die lexikonartige Definition von Ironie. Diese besagt, dass die rhetorische Figur der Ironie einen Unterschied zwischen dem Formulierten und dem Intendierten ausdrückt, oder die das Gegenteil von dem, was gesagt wird, meint. Unter Hitlers Porträt lesen wir: „In dieser kalten Jahreszeit kann eine duftende Bienenwachskerze für Wohlgefühl sorgen, eine schöne Lampe oder ein harmonisches Bild, eine Kuscheldecke, eine ganzheitliche Massage, eine wärmende Tee-Kreation, ein Candlelight-Dinner mit ihren Lieben, das Eintauchen in ein Aroma Wellnessbad …“ – ich muss das nicht weiter fortsetzen, Sie haben das Prinzip verstanden: In der Differenz zwischen dem Tabu-Bild und der weichgespülten Rhetorik der Werbesprache scheint das Grauen der NS-Zeit auf. Ist das Ironie mit dem Holzhammer? Nein, eher das kalkulierte Umkippen aus der grotesken Text-Bild-Konstellation in eine eindeutige politische Botschaft. Wir waren der Meinung, dass dieses Werk in die Ausstellung gehört.

Was leisten also Witz und Ironie in der Kunst heute? Nicht wenige Werke beziehen ihr komisches Potential aus dem spielerischen Umgang mit Sprache und Bild, so Antonia Frank in ihren neun Puncakes, in denen sie kuriose Worthybride herstellt und amüsant bebildert. Ähnlich funktioniert Ernst W. Schneiders Der Goldene Schnitt, der die Geometrie der Salami auslotet, während Zara Alexandrova drei unterschiedliche Lesarten für ihr Aquarell Posh anbietet: Es zeigt eine Autobatterie, die in eine Handtasche umgewandelt wurde. Sie trägt vier rote Buchstaben POSH, was auf den Hersteller Bosch verweist, dessen Logo daneben steht, phonetisch entspricht dies la poche, frz. die Tasche sowie dem englischen Adjektiv posh, was so viel wie elegant, nobel, chic bedeutet. Besonders gut gefiel uns das Schild für einen imaginären Fluß von Andreas Techler. Es zeigt uns in der Machart eines Straßenschildes in Lack auf Aluminium das Wort Rhaus, R-h-a-u-s, und eine Schlangenlinie, die auf einen Fluß verweist. Aus dem Rhein wird der Rhaus. Und da wir in der Jury im Laufe unseres Entscheidungsprozesses unendlich oft „rein“ und „raus“ sagen, erschien uns dieser Beitrag besonders kurios.

Das Wörtlichnehmen ist eine andere Form, mit der tiefere Bedeutung ironisch produziert wird: Jonathan Kraus zeigt dies in seinem Bild The artist rewrites art history. Überhaupt bietet die Kunstgeschichte ein reiches Repertoire an Bildfindungen, die sich scherzhaft aufs Korn nehmen lassen. In Tatjana Chimes Etwas Vorsicht bitte! rutscht das Früchtestillleben mit dem kostbaren Porzellan vom Tisch, der wir ein dunkler Keil ins Bild ragt. Ein Motiv aus Rubens‘ Tigerjagd wird von Florian Furgoll verfremdet. Bruno Reuber nimmt sich Jacques Louis Davids Der Tod des Sokrates vor und durchsetzt dieses Hauptwerk des französischen Klassizismus mit diversen zeitgenössischen Elementen. Der gleiche Impetus steht hinter Mehrnosh Käckers Das zerrinnende Handy, eine Persiflage auf Salvador Dalis zerfließende Uhren in Die zerrinnende Zeit von 1931.

Christa Planck hat eine Hommage an Man Rays surrealistische Fotografie Le violon d’Ingres geschaffen, die wiederum eine Persiflage auf Jean Dominique Ingres‘ klassizistischem Aktgemälde Die Badende von Valpincon darstellt. Man Rays Fotografie zeigt seine Muse Kiki de Montparnasse, die Ingres‘ Rückenakt nachstellt. Durch die Einfügung von Klanglöchern wird ihr Körper auch als Klangkörper der Geige lesbar. Christa Planck hat die Analogie von Körper und Instrument bei Man Ray auf eine digital veränderte Birne übertragen und dadurch die surrealistische Spannung zwischen den Kategorien Weiblichkeit, Natürlichkeit und Künstlichkeit zeitgenössisch interpretiert.

Auf mehrfache Weise lesbar ist Heidrun MalComes‘ Bild woman at work. Vordergründig ein eher frauenfeindlicher Witz, der darin besteht, dass eine Frau sich beim Bemalen einer roten Bodenfläche in eine ausweglose Lage gebracht hat, nämlich in eine Raumecke, aus der sie nicht mehr rauskommt, ohne ihr Werk zu zerstören. Doch es könnte auch eine Pointe mit Hintersinn in diesem Bild geben. Um diese zu verstehen, sollte man die Kunstgeschichte im Kopf haben, nämlich Sigmar Polkes berühmtes Gemälde von 1969 Höhere Wesen befahlen: rechte obere Ecke schwarz malen. Polke gelang es hier treffsicher, den männlichen Geniekult zu ironisieren. Wenn die Frau bei der Arbeit an der weißen oberen Ecke implizit auf die schwarze obere Ecke des männlichen Erfolgskünstlers Bezug nimmt, so gewinnt das Bild eine subtil kritische Pointe.

Unser Konsum- und Sozialverhalten wird von zahlreichen Künstlern und Künstlerinnen aufs Korn genommen. Beliebtes Thema ist immer noch unser Handygebrauch. So kontrastiert Franz Leschinger in Feminismus 2.0 zwei berühmte Gemälde aus der Südsee von Paul Gauguin mit vier Asiatinnen, die die Bilder im Museum ignorieren, um sich in ihre Smartphones zu versenken. Robert Reinhold zeigt in #pictureoftheday eine Ansammlung von Menschen beim Fotografieren eines riesigen schwarzen Loches. Das New Breakfast aus Coffee to go, Vitaminpillen und I-Pad im Bild von Diana Kirsten-Szlaski ist eine ebenso düstere Aussicht wie Fun at the Beach, der von Manfred Hönig als Slumsiedlung in weitgehend abgestorbener Natur imaginiert wird.

Dass sich Donald Trump durch Bildwitz erträglich machen lässt – darauf vertrauen offenbar viele Künstler und Künstlerinnen. Klaus Busch versetzt den amerikanischen Präsidenten an die Stelle von Adam in Michelangelos Sixtinischer Kapelle, wobei die Geste der Hand des Schöpfers sein Missfallen deutlich zum Ausdruck bringt. Gott reicht’s  – so der Titel der kleinen Pastellzeichnung. In Girl with the greatest balloon in history von Beate Fahrnlaender schwebt Donald Trump in den Lüften: Wird dieser Ballon bald platzen, oder ereilt ihn das Schicksal des jüngsten Jokes der Kunstgeschichte – Banksys Girl with ballon, ein eher trauriges Skandalwerk, das im Moment seiner Versteigerung für 1,2 Mio. Euro von einem eingebauten Mechanismus geschreddert wurde? Aggressiver geht Marion Anna Simon zu Werke, die in Fake (Salome) Donald Trump mit dem Messer enthauptet hat. In dem Affen mit rotem Telefon von Christian Ristau dürfen wir eine Ersatzfigur für den amerikanischen Präsidenten vermuten.

Masken und Maskeraden sind ein anderes beliebtes Thema in witzigen und ironischen Bilderfindungen. Ulrich Sekinger isoliert die Maske von ihren Trägern und setzt sie in Beziehung zu Gliederpuppe und Totenschädel. Die Maske als Verbrämung des alten weiblichen Gesichts zeigen uns Ursula Donn und Silke Aurora. Die Ärztin mit Narrenkappe und der Patient als König aus dem Kasperletheater werden von Hildegard Bunn ironisch kritisch in Szene gesetzt. Dietmar Gross sieht den Kleriker als feisten Narren, der mit einer doppelten Geste zu segnen und zu befehlen scheint. Zu einer bösen Satire auf politische Korrektheit im Vatikan steigert sich Keiko Mathuis mit Pausengespräch im Konklave 2040.Eine Gruppe von sechs Klerikern hat sich vor dem Fresko der Erschaffung Adams in der Sixtinischen Kapelle versammelt. Drei alte weißhaarige Männer und drei junge Frauen, darunter eine Schwangere, eine Rollstuhlfahrerin, eine schwarze Frau mit einem blonden Kind an der Hand. Auf der gleichen Ebene eine resentimentgeleiteten bösen Ironie agiert Gabriele Roman mit Bitte lächeln, einer Bildsatire auf vollverschleierte Frauen, die vor dem Hintergrund einer zerstörten Kulturlandschaft mit dem Handy fotografiert werden.

Unsere Tour d’horizon endet wie immer bei den Preisträgern. Den dritten Platz hat Maximilian Ostermann für seine technisch perfekte Wiedergabe zweier Haushaltsgeräte, einer elektrischen Zahnbürste und eines Staubsaugers, erhalten. Angeregt wurde er von einem Werbeprospekt der Firma AEG, auf deren ehemaligen Werksgelände sich sein Atelier befindet. Die übergroße Zahnbürste und der Staubsauger werden durch den Titel Familie Saubermann anthropomorph umgedeutet, eine höchst kuriose Familienaufstellung mit Vater, Mutter und drei Kindern in Form von Ersatzbürsten. Entlassen aus der Herrschaft der Zwecke und der Funktionalität entwickeln die Dinge ihre eigene Magie, sie werden zu Sinnbildern unserer Obsession mit der Sauberkeit, die hier auch ihr Gegenteil, das Schmutzige, das nicht Kontrollierbare ironisch aufscheinen lassen.

Eine gänzlich andere Auffassung von Kunst und Künstler verkörpert Manshu-Rhan Park, der den zweiten Preis erhalten hat. The little red monkey sei in einer sehr intensiven, existentiellen Zeit entstanden; er habe harte Kämpfe mit der Leinwand ausgetragen, so der Künstler. Diese Form der emphatischen Selbstentäußerung teilt sich auch seiner ruppig expressiven Malweise mit. Der Protagonist des Bildes ist ein Affe – ein durchaus polyvalentes Symboltier in der Kunst; er steht für den mimetisch arbeitenden Künstler, also für das bloße Nachahmen bzw. das Nachäffen als der untersten Stufe der künstlerischen Weltaneignung. Die sogenannten Singerien sind eine eigene Kunstgattung des französischen 18. Jahrhunderts, in der alle menschlichen Figuren durch ihre Artverwandten aus dem Tierreich ersetzt wurden. Aus der jüngeren Kunstgeschichte kennt man die Affen in den Bildern und Plastiken von Jörg Immendorf, einem ehemaligen Professor der Düsseldorfer Kunstakademie, an der auch Manshu-Rhan Park studiert hat. Immendorf sah im Affen einen selbstironischen Kommentar auf die Zunft der Maler, changierend zwischen animalischer Triebhaftigkeit und genialem Dilettantismus. Manshu-Rhan Parks Bild lässt sich in diesem Sinne verstehen: Er verweigert die Raffinesse des gut gemalten Bildes, er bekennt sich zum sichtbar Handgemachten, zur rauen Pinselarbeit. In stumpfen und grellen Farben konstruiert einen grotesken, einen völlig aberwitzigen Balanceakt. Ein kleiner roter Affe stemmt einen langen weißen Knochen und eine braune unförmige Beinprothese. Es ist die Kunst als Balanceakt, als höchst prekäre, immer wieder vom Scheitern bedrohte Anstrengung, die uns der Künstler hier prägnant vor Augen führt.

Wenden wir uns dem Bild Der Komponist von Barbara Breyer zu. In perfekter fotorealistische Malerei gibt sie den Blick in eine recht trostlose Raumecke.  Die einzige Figur trägt bequeme Hauskleidung, sie ist umgeben von diversen Möbeln und Gegenständen – einer Kaufhauslampe, einer gestreiften Decke, mehreren Flaschen, einem Plattenspieler, einer Lautsprecherbox sowie Telefon, Geldbörse und anderes mehr. Farben aus dem beige-braun Spektrum dominieren. Der Komponist ist offenbar kein Augenmensch.

Mit diesem Setting baut die Künstlerin eine Differenz zwischen dem Protagonisten des Bildes und uns, den Betrachtern vor dem Bild, auf. Seinem Einverständnis mit der Welt, die ihn umgibt, steht unser Abstand zu seiner Welt gegenüber. Doch dabei bleibt das Bild nicht stehen. In dem biederen Interieur öffnet sich ein Binnenraum, der anderes verheißt: Zwischen dem Mann und der Schallplatte findet eine Art von Kommunikation statt. Der Komponist befindet sich offenbar im emotionalen Zustand der neugierigen Erwartung. Er pustet den Staub von der Schallplatte, die er gleich auflegen wird. Es öffnet sich die Welt der Musik, die der Komponist liebt; die Innenwelt des Mannes, der Nähe und Emotionalität zulässt.

Mir scheint, dass Barbara Breyer hier einen Diskurswechsel vollzieht – weg von der Ironie, weg von Sarkasmus und Zynismus hin zu einer Haltung der Empathie, zu einem Bekenntnis zum gelebten Leben wie es sich für den Protagonisten des Bildes darstellt. Eine solche Position hat man postironisch bezeichnet, und sie ist keineswegs selten in der jüngeren Kunst. Barbara Breyer hat ein sperriges, aber letztlich doch sinnstiftendes, ein verheißungsvolles Bild gemalt.

Ich gratuliere Barbara Breyer zum ersten Preis, ich gratuliere Manshu-Rhan Park und Maximilian Ostermann und wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg.

Pia Müller-Tamm

Ausstellung des 43. Kunstpreises „Witz und Ironie“

HINTERLASSEN SIE EINE ANTWORT

Please enter your comment!
Please enter your name here